Großkopfs Denkmal

 


Der Mordstein von Pöhlde

Nach einer wahren Begebenheit frei von Otto Zander nacherzählt

In der dunkel und unheimlich wirkenden Talschlucht im Buchendome beim Petersberge erhebt sich beim Jagenstein 2/3 ein schlichter Gedenkstein mit der Inschrift:

Wilhelm Großkopf
Gemeinde-Forstaufseher
erlitt in treuer Ausübung seines Dienstes
am 15. Mai 1877 von ruchloser Hand hier den Tod.
Gewidmet von den Forstgenossenschaften
Elbingerode, Hattorf, Wulften und Pöhlde
im Jahre 1902.

Tragisch ist die Geschichte, die sich an diese Inschrift knüpft, und seltsam zugleich, daß bis auf den heutigen Tag nie das Dunkel gelüftet werden konnte.

Flutender Sonnenschein lag über den ausgedehnten Wgldungen des Rotenberges bei Pöhlde, als der Gemeindeforstaufseher Wilhelm Großkopf mit finsterem Gesicht durch sein Revier streifte. Schon seit Monaten ist er hinter den Wilddieben her, die nicht nur mit der Waffe, sondern auch mit der übelsten Art, dem Schlingenstellen, ihrem Verbrechen nachgingen. Doch noch nie ist es ihm gelungen, auch nur einen dieser finsteren Gesellen zu Gesicht zu bekommen. Der Wildbestand verringerte sich immer mehr, ohne daß er bisher Einhalt gebieten konnte. Wehe, wenn ich euch Verbrecherbande erwische", murmelte er vor sich hin. Hatte er doch gestern erst wieder ein Reh in der Schlinge verendet vorgefunden. Er blieb stehen, wischte sich den Schweiß von der Stirn und schritt mürrisch dem Petersberge zu.

Die Sonne hatte sich mittlerweile schon nach Westen gesenkt, zitternde Strahlen tanzten zwischen den hohen Buchenstämmen, warfen goldene Lichter auf den Waldboden, spielten mit den Zipfeln der Farnkräuter und tasteten tiefer und tiefer in den Wald hinein. Forstaufseher Großkopf bog jetzt rechts ab und ging hinüber zu seinen Waldarbeitern auf der neuen Hauung, um ihnen wieder einmal Kunde zu bringen von dem letzten Verbrechen. Sie hatten bereits Feierabend gemacht und wollten den Heimweg antreten. Helle Empörung herrschte über die immer mehr zunehmende Wilddieberei, und sie sicherten ihrem Forstaufseher jede eventuelle Hilfe zu. Die Waldarbeiter Heidelberg und Zander hatten ausnahmsweise noch etwas länger zu tun und begaben sich dann gemeinsam mit dem Forstaufseher auf den Heimweg.

Die Sonnenstrahlen senkten sich schon tief im Westen, als sie aus dem Petersberg heraustraten und bei der tiefen Kuhle waren. Plötzlich sahen sie vor sich zwei wüst aussehende Gesellen, die aller Wahrscheinlichkeit nach Zwinge wollten. Ihre Rucksäcke waren schwer, und sie gingen etwas gebeugt. Aus dem einen Rucksack sahen zwei Rehläufe heraus. In dem Gesicht des Forstaufsehers wetterleuchtete es; in barschem Ton verlangte er von ihnen Aufklärung, woher das Wild stamme. Doch die Wilderer waren nicht geneigt, ihm Auskunft zu geben. Stattdessen erhielt er plötzlich von dem links von ihm stehenden Wilderer mit dem Gehstock einen Schlag über den Kopf, den er geistesgegenwärtig noch etwas abfangen konnte. Der Forstaufseher sah einen Augenblick sprühende Funken vor seinen Augen; dann packte ihn die Wut, und er spran4 den Schläger an.

Seine Kameraden hatten blitzschnell erkannt, daß es jetzt um Sein oder Nichtsein ging. Der Waldarbeiter Heidelberg eilte dem Forstaufseher zu Hilfe, und der Waldarbeiter Zander, ein Hüne von Gestalt, stürzte sich auf den anderen Wilderer. Dieser jedoch wußte ausgezeichnet zu parieren, sie kamen in dem schweren Ringen zu Fall und näherten sich immer mehr der tiefen Kuhle. Jetzt kniete ganz unerwartet der Wilderer auf der Brust des Waldarbeiters Zander und umklammerte ihm mit den Händen die Kehle, indem er schrie: Da mußt du hinunterl» Er versuchte vergeblich mit der rechten Hand seinen Dolche aus der linken Brusttasche zu ziehen, aber durch die heftigen Bewegungen kamen die Körper ins Gleiten, der Wilderer fiel etwas zur Seite. Blitzschnell warf sich Zander auf ihn und umklammerte mit hartem Griff die Kehle des Wilderers, mit der anderen Hand ergriff er einen Stein und schlug ihm damit auf den Kopf, daß ihm die Sinne schwanden. Dann rollten sie den Abhang hinunter.

Dem Forstaufseher und Waldarbeiter Heidelberg war es unter Aufbietung aller Kräfte nicht möglich gewesen, den zähen und gewandten anderen Wilddieb unschädlich zu machen. Bei einer kleinen Unachtsamkeit war es ihm sogar gelungen, dem Forstaufseher Großkopf das Gewehr zu entreißen, zu fliehen und selbst auf ihn in Anschlag überzugehen. Zum Glück versagte aber das Gewehr. - Jetzt kamen sie eilenden Schrittes zurück, um ihrem Kameraden zu helfen, konnten ihn aber nirgends finden. Plötzlich vernahmen sie ein Knacken und Keuchen aus der tiefen Kuhle heraus. Schnell eilten sie hinunter und waren erfreut, ihren Kameraden Zander wohlauf zu sehen, der dem Wilderer auf der Brust kniete und arg zerschunden und mitgenommen aussah.

An einen Fußmarsch nach Pöhlde war nicht zu denken. Der Waldarbeiter Heidelberg eilte sofort nach Pöhlde, um Hilfe zu holen. Nach ca. zwei Stunden langem Warten hörten sie Wagenrollen, Pferdegetrappel und Stimmengewirr. Kurz darauf hielt der Bauer S. aus Pöhlde vor der Kuhle, um den Wilderer abzuholen, den man inzwischen gefesselt hatte. Man schaffte ihn auf den Wagen, und dann setzte sich der Zug in Richtung Pöhlde in Bewegung. Es dunkelte schon, als man die ersten Häuser von Pöhlde erreichte und die Hunde wütend anschlugen. Eine erregte Menschenmenge versuchte den Wilderer vom Wagen herunterzuholen und selbst Justiz an ihm zu verüben.

Dann setzte sich der Wagen erneut in Bewegung, um ihn ins Gefängnis des Amtes Herzberg zur Aburteilung einzuliefern.

Große Empörung herrschte seit diesem Vorfall unter der Bevölkerung von Pöhlde, und jeder bangte um das Leben des Forstaufsehers. Er war bei der Bevölkerung als hilsbereiter Mensch sehr beliebt und wurde auch als korrekter Beamter von seinen Vorgesetzten geschätzt. Auch im Hause des Forstaufsehers Großkopf im Mitteldorfe herrschte seitdem eine gedrückte Stimmung. Immer wieder warnte seine um ihn besorgte Frau, der seine Dienstgänge quälende Angst bereiteten, sich nicht allein auf diese zu begeben.

Doch mit wegwerfender Handbewegung zerstreute er ihre Besorgnis und antwortete: Dienst ist Dienst und Schnaps ist Schnaps, und daß ich immer im Dienst bin und zum Schnapstrinken keine Zeit habe, das sollen diese Malefitzspitzbuben von Wilddieben jetzt doppelt merken. Denn daß sie ihn fürchten mußten, und daß er all ihre Schleichwege kannte, wußten die Wilddiebe. Er schreitet zum Hakenbörd, nimmt seinen Doppelläufer herunter, hängt ihn über die Schulter, verabschiedete sich von seiner Frau und ging um die Mittagszeit des 15. Mai 1877 zum letzten Male aus seinem Hause, einem traurigen Schicksal entgegen.

Trotzdem es schon die zwölfte Stunde war, geisterte der Nebel noch in den Tälern, lag wie ein dichter Schleier über den Wiesen und verdunkelte die dann und wann durchbrechenden Strahlen der Maiensonne. Dunkel wie der Tag, so blieb auch das, was an diesem Tage im Buchendome beim Petersberge geschah, in ewiges Dunkel gehüllt. Gleichsam als könnte es die Sonne, die an diesem Tage ihre Kraft zu verlieren schien, auch nicht an den Tag,bringen.

Forstaufseher Großkopf zog mit langen, raschen Schritten, den Oberkörper vorgebeugt, seines Weges. Er blieb einen Augenblick stehen, wischte sich den Schweiß von der Stirn und schlug dann den Weg zu seinen Waldarbeitern ein, um ihnen noch Anweisungen für den nächsten Tag zu geben.

Die Waldarbeiter Heidelberg und Zander wollten ihn begleiten, doch der Forstaufseher wehrte ab mit dem Bemerken, daß er keine Angst habe; dann nahm ihn die Dickung auf.

Seit ein paar Stunden streifte er nun schon hier oben im Petersberge herum, nachdem er die Waldarbeiter verlassen hatte, ohne jedoch irgend etwas Verdächtiges festzustellen. Der Nebel war gewichen, und es herrschte jetzt eine ziemlich klare Sicht, obgleich es schon dunkelte. Mittlerweile war er beim Buchendome in der Nähe des Jagensteines 2/3 angekommen. Tiefer, dunkler, unheimlich rauschender Tannenwald nahm ihn auf. Vorsichtig, mit gespanntem Hahn ging der Forstaufseher weiter. - Knackte es eben nicht in der Dickung? Nein Sein auf vielen Waldgängen geschultes Ohr betrog ihn nicht. Der Wind ging durch den Forst, und die Buchen in der Nähe krächzten. Schon sah er die Lichtung. Doch plötzlich blieb er stehen - dort - dort knieten zwei verdächtige Personen über einem Reh. Sein Herz schlug schneller, seine Augen fieberten, und die Hände wollten zittern.

Auf 40 Schritt schlich er sich heran, das Büchsenlicht reichte kaum noch aus. Deutlich sah er, wie sie das Reh ausweideten. Jetzt ging es um Sein oder Nichtsein, er rief die Wilddiebe an, Diese erkannten sofort die Gefahr, sprangen auf und wollten den Abhang hinauf. Ein Anruf - aber was ist das, der peitschende Schuß durch den Wald blieb aus. Den Forstaufseher erfaßte ein lähmendes Entsetzen. Schon sah er dieWilddiebe wütend auf sich zustürzen, er wollte fliehen - doch es war bereits zu spät. Schnell hatten sie ihn gefaßt, an Händen und Füßen gefesselt und schleppten ihn dann aus dem Tannenwald heraus vor die Lichtung. Hier gaben sie ihm noch einen Mundknebel aus Moos, banden ihn an zwei zusammenstehende Buchenjungstämme und ließen diese solange auseinanderschnellen, bis ihm -Genick und Rückgrat gebrochen und der Tod eintrat.

Die Leiche wurde am anderen Morgen von Waldarbeitern blutüberströmt und übel zugerichtet, gefunden. Auch das Gewehr fand man in der Nähe des Tatortes. Nur die Uhr fehlte. Rasch verbreitete sich die Nachricht von diesem schrecklichen Morde im Dorfe. Fast alle Einwohner eilten zum Tatort, um sich von der unglaublich klingenden Meldung selber zu überzeugen. Durch die Menge der Neugierigen drängte sich plötzlich eine mittelgroße, schlanke Frau mit fiebrigen Augen, weißen, verzerrten Gesichtszügen und zitternden Knien. Sofort machten die Umstehenden Platz, und sie stand vor ihm, ihrem Manne, der ihr Lebensglück war, das nun zertrümmert vor ihr lag. Mit einem gellenden Aufschrei brach sie über der Leiche ihres Mannes zusammen.

Nach den polizeilichen Feststellungen und der Sezierung der Leiche wurde diese zur Beerdigung freigegeben. Aber die bange Frage nach den Mördern lag noch lange Zeit auf sämtlichen Einwohnern des Dorfes. Man fahndete Jahre nach den Verbrechern und nahm auch zwei übel berüchtigte Männer in Silkerode fest; mußte sie aber wieder freilassen, da man ihnen nichts nachweisen konnte, und so blieb dieser Mord an dem diensteifrigen Forstaufseher Wilhelm Großkopf bis auf den heutigen Tag ungesühnt.

Quelle:
" Historische Streifzüge durch den Südharz"
Eine Erzählung von Otto Zander, Verlag Otto Zander - Herzberg-Pöhlde